Mauborget (VD) sagt klar Ja zur Windkraft. Genauer: zum Windpark Grandsonnaz. Nicht nur im kleinen Dorf sind immer mehr Menschen davon überzeugt, dass die Schweiz auf Windenergie angewiesen ist.
Die Gemeinde Mauborget im Jura zählt 130 Einwohnerinnen und Einwohner. Die grosse Mehrheit steht hinter dem Windkraftprojekt, das in der Region realisiert werden soll. Bei der Abstimmung vom 20. Juni 2022 votierten drei Viertel der Stimmenden dafür. «Man kann schliesslich nicht immer nur Nein sagen», sagt Jacqueline Michod, die bei der Versammlung des Conseil Général, der Waadtländer Variante der Gemeindeversammlung, Ja gestimmt hat. Und Gemeindepräsident Claude Roulet erklärt: «Wir mögen eine kleine Gemeinde sein, doch wir wollen unseren Teil zur Energiewende beitragen.»
Der Windpark von Grandsonnaz soll 15 grosse Windräder zählen und im Jahr rund 90 Millionen Kilowattstunden Strom liefern, das entspricht rund 60 % des Verbrauchs der Kantonshauptstadt Lausanne. Mit dieser Stromproduktion zählt das Vorhaben zu den grössten, die in der Schweiz geplant sind. Gebaut werden soll in der Region des Chasseron, einem der höchsten und als Ausflugsziel beliebten Juragipfel. Das Projekt sieht Standorte auf dem Gebiet von vier Gemeinden vor – darunter Mauborget, wo allerdings nur eine der Turbinen zu stehen kommen soll. Sie wird sechs Kilometer vom Dorf entfernt installiert und aus topografischen Gründen nicht zu sehen sein. Doch das war aus Sicht des Gemeindepräsidenten nicht der Grund für die hohe Akzeptanz des Projekts. «Wenn es nach uns ginge», sagt er, «hätten wir gerne noch mehr Windräder auf dem Gemeindegebiet.»
Das Ja zur Windkraft in Mauborget könnte stellvertretend sein für die Haltung in zunehmend breiteren Teilen der Schweizer Bevölkerung. Wie eine aktuelle Studie des Forschungsinstituts GfS Bern zeigt, sind 73 % der Befragten der Meinung, die Windkraft werde in der Schweizer Stromproduktion künftig eine zentrale Rolle spielen. Mit Windrädern, die man vom eigenen Balkon aus sehen kann, erklärten sich 55 % einverstanden. Spezifisch für die Ostschweiz hatte eine Befragung der Universität St. Gallen schon früher hohe Zustimmungswerte ergeben. Die Studie zeigte zudem, dass die Anwohnenden von bereits bestehenden Anlagen eine positivere Einstellung zur Windenergie haben als Menschen in der Umgebung von geplanten Windkraftanlagen.
Auch beim Branchenverband Suisse Eole spricht man von einem Stimmungsumschwung. «Immer mehr Menschen kommen zur Einsicht, dass Photovoltaik allein zur Produktion erneuerbarer Energie nicht reicht», erklärt Mediensprecherin Anita Niederhäuser. «Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs realisieren die Leute, wie wichtig unsere Energie-Unabhängigkeit ist.»
In der Energiestrategie 2050 des Bundes kommt der Windenergie ein wichtiger Platz zu. Sie soll gegen 10 % des Strombedarfs der Schweiz decken. Dies besonders in den Wintermonaten, wenn weniger Solarstrom fliesst. Doch noch steckt der Ausbau der Windenergie in der Schweiz in den Kinderschuhen, zurzeit stammen gerade mal 0,2 % unseres Stroms von Windrädern. Viele Projekte stecken seit Jahren in Planungs- und Bewilligungsverfahren fest – das Projekt von Grandsonnaz etwa stammt ursprünglich aus dem Jahr 2007. Praktisch jedes Windparkprojekt wird durch Einsprachen bekämpft. Die Umweltverbände WWF und Pro Natura verlangen häufig einen besseren Schutz der Vögel. Organisationen wie Freie Landschaft Schweiz wollen die Projekte gänzlich verhindern und ziehen ihre Einsprachen bis vor das Bundesgericht. Bisher erfolglos, das Bundesgericht hat seit 2021 fünf Windparks beurteilt und für alle grünes Licht gegeben.
Im Schnitt dauert ein Verfahren rund 20 Jahre. Mit derartigen Fristen liessen sich die Ausbauziele nicht erreichen, befand der Bundesrat im Februar 2022, und erklärte, die Planungs- und Bewilligungsverfahren für die bedeutendsten Windenergieanlagen müssten vereinfacht und gestrafft werden. Beispielweise soll ein Projekt künftig nur noch einmal bis vor Bundesgericht angefochten werden können und nicht, wie heute, in jeder Bewilligungsetappe.
Ich war erstaunt, dass es vor der Abstimmung nicht einmal zu einer Diskussion kam.
Auch beim Windpark von Grandsonnaz ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. In drei der involvierten Gemeinden nämlich liegen die Dinge nicht so klar wie in Mauborget. Dort sagt Gemeindepräsident Claude Roulet: «Ich war erstaunt, dass es vor der Abstimmung nicht einmal zu einer Diskussion kam.» Die Meinungen waren offensichtlich längst gemacht. Das lag insbesondere an der transparenten Informationspolitik der Gemeinde und der Initiantin des Windparks, den Services Industriels de Genève SIG. Das öffentliche Infrastrukturunternehmen ist unter anderem in der Stromproduktion tätig. Neben zahlreichen Informationsveranstaltungen, bei denen auch die Gegnerinnen und Gegner des Projekts zu Wort kamen, gab es bei den geplanten Turbinenstandorten einen Lernpfad, der die Auswirkungen der Windräder aufzeigte. Besonders geschätzt, betont Jacqueline Michod, habe die Bevölkerung die Exkursionen in den bestehenden Windpark auf dem Mont Crosin im benachbarten Berner Jura, inklusive Gespräch mit Anwohnerinnen und Anwohnern.
Ganz allgemein scheint Transparenz der Schlüsselfaktor zu sein, wenn es darum geht, Zustimmung für Windkraftprojekte zu erreichen. Dies zeigte kürzlich eine Veranstaltung zur «sozialen Akzeptanz der Energiewende» des Instituts für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen. Zentral seien Faktoren wie Fairness, die Einbindung lokaler Akteure, aber auch die finanzielle Beteiligung von Bürgerinnen, Bürgern und Gemeinden. Wie das aussehen kann, zeigt zum Beispiel der Windpark von St. Brais im Kanton Jura, bei dem die lokale Bevölkerung zu Vorzugsbedingungen Aktien zeichnen konnte. Die Anlage von Charrat im Unterwallis wiederum, die möglichst bald ausgebaut werden soll, ist zur Hälfte im Besitz der umliegenden Gemeinden. Und auch vom Windpark Grandsonnaz sollen die Standortgemeinden profitieren: In Mauborget rechnet man mit jährlichen Einnahmen von rund 30'000 Franken, ein willkommener Zustupf zum Gemeindebudget von 600'000 Franken.
Ein Grund für den relativ hohen Stellenwert der Windkraft in der Energiestrategie 2050: Windparks produzieren zwei Drittel ihres Stroms im Winterhalbjahr, also genau dann, wenn wir mehr Energie für Wärme und Beleuchtung brauchen. Die Windenergie ist damit eine ideale Ergänzung zu den Wasserkraftwerken und Solaranlagen. Für den Ausbau der Windkraft sind schweizweit rund 100 Standorte identifiziert, auf denen 700 bis 1'000 Windenergieanlagen (mittlere Leistung um 3 Megawatt) gebaut werden könnten. Diese würden jährlich 4 Terawattstunden Strom produzieren. Nötig sind rund 120 Windparks mit je fünf bis zehn Anlagen. Noch hinkt die Produktion diesen Vorstellungen weit hinterher. 2020 stammen gerade mal 0,2 % unseres Stroms von Windrädern.